Mit diesem Satz schließt Lena Gorelik ihre Amtszeit als Poetikdozentin Hannovers ab, nachdem sie uns eine Stunde lang einen erkenntnisreichen Einblick in ihr Schreiben gewährt hat. Im Werkstattgespräch mit Saskia Fischer reflektiert Lena Gorelik das Privileg des nichtpolitischen Schreibens, die Verantwortung ihren Figuren gegenüber, die Eindrücklichkeit von Lesereisen und was es für sie bedeutet, sich an ein neues Romanprojekt heranzuwagen.
Wie schon in der Auftaktvorlesung spricht die Autorin über das Privileg des nichtpolitischen Schreibens und erweitert den Gedanken: auch das vorgeblich Nichtpolitische sei eine Positionierung und somit zwingend politisch; was einigen Texten fehle, sei jedoch der Aktivismus. Ein Privileg, das sie nicht haben möchte; vor allem in ihrer Verantwortung gegenüber anderen ‚Adjektivautor*innen‘ und neuen Deutschen.
Autorin zu sein ist dementsprechend nicht immer einfach. Vor allem Lesereisen sind eindrücklich, konfrontieren sie aber auch mit vielen neuen und alten Herausforderungen. Als neue Deutsche Autorin wird Lena Gorelik stets mit Erwartungshaltungen an ihr Schreiben konfrontiert und das kostet vor allem Kraft. Es kostet Kraft, den unpassenden Fragen auszuweichen und es kostet Kraft, sie als das, was sie sind, zu entlarven. So helfe es ihr, wenn sie z. B. in Lieber Misha: Du bist ein Jude, einem Text, in dem sie sich an ihren Sohn wendet, eben diese Fragen und die sie begleitenden Ansprüche auf eine Metaebene transportiere, um dieses Kräfterauben zu verarbeiten, indem sie es benennt. Denn die Sinne einer Gesellschaft werden nicht geschärft, wenn man diese Dinge nicht benennt. Da helfen nur ein Gegen-Anschreiben und das Sich-Freischreiben von Erwartungshaltungen.
Wie schon in Lena Goreliks Blockseminar im Dezember 2022 geht es auch beim Werkstattgespräch um Namen, denn die Erzählerin aus der Kurzgeschichte Frauensache, aus der Gorelik vorliest, stellt fest: „Sie könnte heißen wie ich, könnte so heißen wie alle, die ich kenne.“ Kaum beschenkt Lena Gorelik das Publikum mit diesem Satz, so konfrontiert sie uns sofort damit, dass die romantische Vorstellung, dass die Figuren ihrer Texte ihr gehören würden, nicht zutreffe. Entsprechend kommt hier sofort die Frage auf, ob und wie sie eine Geschichte über das Thema Abtreibung überhaupt schreiben kann, ohne selbst entsprechende Erfahrungen gemacht zu haben Erst im Schreiben erstreckt sich vor ihr ein beängstigendes Universum an Möglichkeiten. Doch wie begegnet man diesem mit dem notwendigen Respekt?
Im Werkstattgespräch entlarvt Lena Gorelik nämlich, dass schon das ‚Stimmegeben‘ an Figuren eine hierarchische Geste ist. Dementsprechend ist ihr vor allem der ehrliche Umgang mit dem Text wichtig, der dafür sorgt, Figuren und Lesende ernst zu nehmen, indem sie selbst und ihre Erzählfiguren sich stets in Transparenz üben. Zu zeigen, wo eigene Erfahrungen begrenzt sind, sei damit auch ein Tribut an Frauen, die Abtreibungen erlebt haben.
Im Geiste eines Werkstattgesprächs gewährt Lena Gorelik dem Literaturhaus Hannover darüber hinaus sogar einen ersten Einblick in ihr unveröffentlichtes Romanprojekt. Zwar habe dieser Text noch keine Form, aber immerhin ein Thema und sie höre auch schon einen Tonfall. Geschichten lassen sich eben vielfach erzählen und entscheidend seien hier unter anderem das Weglassen/Erzählen bestimmter Geschichten, ihr Tempo und die immer wiederkehrende Frage: Wie erzähle ich etwas und warum zu welchem Zeitpunkt? Der Text selbst jedenfalls suche noch, doch Lena Gorelik bleibt geduldig: „Ich habe gelernt zu warten im Schreiben.“
Shayan Rahmanian